Im Internet trauen sich die Menschen Dinge zu sagen, die sie im realen Zusammenleben nie sagen würden. Sie zeigen eine herzlose, assoziale und unmenschliche Seite von sich. Kürzlich lud ich ein Video von mir hoch, in dem ich (ungeplant) weinte und von sehr persönlichen Familienproblemen sprach. Ein Drittel der Kommentare lautete „wieso heult die Alte?“ oder „schlechte Schauspielerin!”, “Fake Reaktion” oder „bisschen übertrieben“. Wie oft seid ihr im echten Leben zu einer weinenden Person gegangen und hab einen der oben genannten Kommentare losgelassen? Ich noch nie. Meine natürliche Intuition und Reaktion auf einen weinenden Menschen sind Mitgefühl und Empathie. Gefühle, die uns menschlich machen und zusammenbringen. Ein Mensch, der seine Gefühle offen zeigt, zulässt, sich öffnet und von einer sehr verletzlichen Seite zeigt, genau dafür zu kritisieren, ist für diese Person nicht nur demütigend sondern auch unfair. In diesem Video bin ich die Person, die sich „nackt“ in die Mitte der Arena stellt, ehrlich und verletzlich ist. Die Person, die kritisiert, genießt den Schutz der Anonymität, was es zu einem unfairen Spiel mit ungleichen Regeln macht. Kommunikation im Internet holt etwas aus uns raus, was in realer, sozialer Interaktion kaum denkbar wäre.
“Wie gespielt ist das Video eigentlich. Richtig lächerlich als müsste man da heulen, Aufmerksamkeitsdefizit hallo.“
Ich bin zu sensibel für Social Media und nicht hart genug, um drüber zu stehen. „Es muss dir egal sein, was Leute sagen“. „Du musst das ignorieren“. „Nimm es mit Humor“. Gut gemeinte Ratschläge, die für mich einfach nicht funktionieren. Ich habe sie alle ausprobiert. Ich möchte nicht zu einem Stück Stein werden, an dem alles abprallt, das bin einfach nicht ich. Ich bin gerne ehrlich, verletzlich, einfach menschlich. Doch wenn man so ist, wird man im Internet zerfetzt. Das Leben, Interaktionen, Begegnungen mit Menschen – das ist das, was mich fasziniert und das, was ich an Social Media einst so gut fand. „Sozial“ steckt im sozialen Medium. Doch sozial ist an den vermeintlich sozialen Medien nichts mehr, denn wir interagieren auf eine Art und Weise, die nichts mehr mit menschlicher Begegnung auf Augenhöhe zu tun hat. Wie verarschen Menschen die weinen, wünschen Menschen, die wir nicht kennen, den Tod, beschimpfen, kritisieren, unterstellen. Social Media ist zum Ventil unserer Aggression, Wut und Ängste geworden. Wir leben in einer komplexen Zeit mit komplexen Problemen. Wir fühlen uns überfordert mit so Vielem. Doch statt in Zeiten von Angst und Hilflosigkeit die wahre, menschliche Interaktion und gegenseitigen Support zu suchen, suchen wir ein Ventil für unsere Angst. Wir haben Angst vor so viel, am meisten vor den Dingen, die wir nicht kennen. Nach sechs Jahren bloggen weiß ich wie es ist, Projektionsfläche für diese Ängste zu sein. Die Art und Weise wie Menschen mich wahrnehmen und mich das spüren lassen, sagt meist mehr über deren Ängste, als über mich aus. Es sind bewusste und unbewusste Vorwürfe, die etwas in mir sehen, was dort einfach nicht vorhanden ist. Menschen projizieren ihre innerpsychischen Konflikte auf mich, weil sie Ängste und Schuldgefühle haben, die sie nur nach außen richten können. Statt sich selbst mit dem eigenen ökologischen Fußabdruck, dem eigenen Verhalten und den eigenen Fehlern auseinanderzusetzen, platzieren sie all dies bei mir. Eine einfache Art, sich kurzzeitig von all dem, was belastet, zu entledigen. Social Media enthemmt Menschen, es kostet sie nur einen Maus- oder Tastenklick um mir verletzende Worte und Sätze zu schreiben, doch was es mich kostet, um das alles zu verarbeiten – davon ist nie die Rede. Eine digitale Nachricht kommt immer im analogen, echten Leben an – und zwar bei mir.
“Boah nur mühsam Madeleine. Sorry aber dein Weltverbesserungsgehabe reicht schön langsam und ist nur mehr nervig. Habe apropos letztens deinen Freund am Markt MIT Kaffeebecher gesehen. Soviel zu Pseudo-Getue! Starbucks und Zerowaste gehen sowieso nicht zusammen! Alles Heuchelei – unnötiger Artikel wegen nichts. Danke für die Zeitverschwendung!“
Die letzten sechs Jahre habe ich damit verbracht, meine Identität nach Außen zu bilden und dabei sehr oft vergessen, dasselbe nach Innen zu tun. Ich habe verstanden, wie man was formulieren muss, wie ich auf andere Menschen wirke, was für Reaktionen konkrete Worte und Bilder hervorrufen. Ich habe verstanden, dass man keine Fehler machen darf, Sarkasmus keinen Platz hat, man schnell verurteilt oder auf ein Podest gestellt wird. In diesem Talk spricht Brené Brown (ihr Buch „The Gift Of Imperfection“ lege ich jedem ans Herz) darüber, das man als Person, die sich exponiert und „da raus“ stellt, die Person in der Arena ist. Dass viele Sitze des Publikums von Kritikern besetzt sind. „If you are not in the arena and getting your arse kicked, I’m not interested in your feedback“. Ja, ich habe mir ausgesucht diesen Job zu machen, das heißt aber noch lange nicht, dass ich mir alles gefallen lassen muss, schon lange nicht von Menschen, die keinen einzigen Tag in meinen Schuhen verbracht haben. Keiner der Menschen, die ihre Konflikte auf mich projizieren, mir dieses und jenes vorwerfen, Lügen verbreiten, wissen wie es ist, jeden Tag da raus zu gehen und mit meiner Persönlichkeit und meiner Identität für die Themen, die mir wichtig sind einzustehen. Es ist wie die Menschen, die Moslems hassen, ohne jemals mit einem Kopftuch durch die Gegend gerannt zu sein. Menschen, die PolitikerInnen verurteilen, ohne auch nur in der Lage wären, eine Sekunde in deren Job auszuhalten. Nur, weil jemand sich für einen Beruf entscheiden, heißt das nicht, dass er oder sie sich jeden Scheiß gefallen lassen muss. Ich habe sechs Jahre meines Lebens damit verbracht, etwas aufzubauen, Dinge zu bewegen. Ich habe viele Abstriche, vor allem privat, gemacht. Du hast einen Mausklick, einen Kommentar gebraucht, um das alles zu diskreditieren. Du hast weder deinen echten Namen, dein Gesicht, dein Leben dafür hingehalten. Ein Spiel mit ungerechten Regeln.
„Dieser Artikel soll nicht Clickbait sein? Für mich klingt das nach einem Wutanfall eines 4 Jährigen Kindes, was du hier schreibst.”
Social Media ist wie ein eifersüchtiger Freund, der echtes Leben nicht zulässt. Er frisst dich auf, will deine ungeteilte Aufmerksamkeit. 7 Tage die Woche, Social Media hat den Größten. Ich kenne niemanden in meinem Freundeskreis, dessen Job zu jeder Tag- und Nachtzeit so im Privatleben präsent ist wie meiner. Auf Social Media gibt es keine Grauzone und es gibt kein Vergeben. Ich selbst habe mir schon lange für all meine Fehler vergeben, vor allem dafür, dass ich mich sechs Jahre lang, langsam aber doch, auffressen habe lassen. Dafür, dass ich mich bemüht habe, Diskussionen zu führen, die im Nichts enden. Dafür, dass ich geglaubt habe, Transparenz schützt vor Projektion. Ich habe mir dafür vergeben, Stunden meines Lebens vor meinem Handy verbracht zu haben, statt mit den Menschen, die ich liebe. Ich habe mir vergeben, dass ich mich größtenteils mehr um meine digitale Gefolgschaft, als meine echten Freunde gekümmert habe. Doch ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich nicht mehr kann. Ich habe so lange darüber nachgedacht, so lange überlegt, wie ich damit umgehen soll, um zum Schluss zu kommen, dass ich nicht damit umgehen kann. Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung für mich. Es ist ein Teufelskreis: je mehr Herzblut ich in das Projekt Blog reinstecke, je mehr ich mich verletzliche mache, je mehr ich für die Dinge kämpfe, die mir wichtig sind, desto mehr werde ich fertig gemacht, desto mehr werde ich hineingezogen, desto mehr werde ich zur Projektionsfläche.
“Karma wird bald an deine Tür klopfen und dir eins reinwürgen.”
Ich möchte kein Leben auf Eierschalen führen. Ich möchte kein Leben führen, wo ich im Club den Strohhalm aus dem Cocktail gebe, aus Angst, man könnte es mir vorwerfen, wenn ich das nächste mal über Zero Waste schreibe. Ich möchte kein Leben führen, wo ich einen Kloß im Hals bekomme, wenn ich ein Flugticket buche, weil ich weiß, dass mir dafür Scheinheiligkeit vorgeworfen wird. Ich möchte kein Leben führen, das mir nicht erlaubt, Nikes auf einem Foto zu tragen, weil ich weiß, dass ich dafür angegriffen werde, auch wenn es Millionen von BloggerInnen da draußen gibt, die täglich Primark & Co. bewerben und dafür nie zur Rechenschaft gezogen werden. Ich möchte kein Leben führen, wo meine sarkastische Art mich als intolerantes Monster dastehen lässt. Ich möchte kein Leben führen, in dem mir Klickgeilheit vorgeworfen wird, obwohl alles, was ich wollte, mehr Awareness für Themen, die sonst niemanden interessieren, war.
Mein Ziel war es mit diesem Blog, Gutes in die Welt hinaus zu tragen. Wissen kompakt aufzubereiten, Menschen zu zeigen, dass man zumindest ein bisschen einen Unterschied machen kann, wenn man sich bemüht. Ich wollte eine Alternative für alle bieten, die so frustriert mit der Mode- und Lifestylewelt sind, wie ich es war und bin. Ich wollte nicht reich werden, ich wollte nicht gewinnen, ich wollte nicht berühmt werden, ich wollte einfach nur einen Blog schreiben und Gutes damit bewirken. Ich habe alles, was ich bisher getan habe, mit dem Herzen in meiner Hand gemacht. Aber wisst ihr was? Es ist verdammt hart. Es ist verdammt hart jeden Tag alleine da raus zu gehen und den ganzen Scheiß mitzumachen, der „part of the deal“ ist. Wenn man nicht einfach als Autorenname unter einem kritischen Artikel in einer Zeitung steht und höchstens ein paar böse Leserbriefe an den Verlag erwarten muss, die man vielleicht nie zu Gesicht bekommt. Wenn man zwar Freunden erzählen kann, wie schlimm es ist, täglich beschimpft zu werden, aber weiß, dass niemand das so wirklich und richtig nachempfinden kann. Wenn man gemütlich beim Essen mit dem Freund sitzt und am Telefon ein Kommentar aufploppt, der gemeiner nicht sein könnte. Wenn einen die Erwartungshaltung der Außenwelt fast erdrückt.
Ich bekomme so viel zurück von euch. So viel positives Feedback, so viel Kraft, so viel Positives. All das, was ich von euch bekomme, ist nicht in Worte zu fassen. Trotzdem hat es nicht gereicht, um mich vor dem zu schützen, was Social Media aus mir als Mensch gemacht hat. Wenn es ein Wort gibt, das meinen Gemütszustand der letzten Monate beschreibt ist es „ausgebrannt“. Ich habe schon vor längerer Zeit bemerkt, dass zu viel auf meinen Schultern lastet, dass ich mir immer fremder werde, dass ich mich immer mehr emotional ausgehöhlt fühle, negativer werde. Dass ich zu schwach bin, um alleine an der Front zu stehen und jeden Tag einen Kampf auszutragen, dem ich mittlerweile nicht mehr gewachsen bin. Spätestens seit dem Einsetzen der chronischen Migräneattacken, Durchfällen und massiven Konzentrationschwierigkeiten weiß ich: mir geht es nicht gut. Obwohl ich ein sehr reflektierter Mensch bin, hat es lange gedauert, bis ich mir das alles eingestehen konnte: „Mit etwas mehr Yoga und Akkupunktur wird das schon nachlassen. Paar Meditationen mehr und ich bin wieder in meiner Mitte“. Schönreden auf hohem Niveau. Bereits Ende letzten Jahres veröffentlichte ich diesen Beitrag, der in mir entsprechende Alarmglocken läutete, die ich dann wieder schnell in Arbeit ersticken und verstummen ließ. Und weil ich sie verstummen ließ, bin ich jetzt an dem Punkt, an dem ich wirklich nicht mehr kann. Spätestens seit ich dieses Video veröffentlich habe wisst ihr vielleicht schon, dass ich in einer Sackgasse, dem “point of no return”, angekommen bin. Ich bin an dem Punkt, an dem ich jeden Tag das Bedürfnis habe, meinen Blog zu löschen, meine digitale Identität zu beseitigen und tausend Gründe finde, wieso das eine überstürzte, irrationale Entscheidung wäre (was es von Außen betrachtet auch ist).
Es gibt aber keine Lösung, die mich so weitermachen lässt, wie bisher, ohne dass ich so lange aufgefressen werde, bis nichts mehr von mir da ist. Nach langer Überlegung habe ich also für mich Folgendes entschieden: ich werde die Kommentarfunktion überall dort, wo das technisch möglich ist, bis auf Weiteres deaktivieren. Wenn die Regeln des Spiels ungerecht sind, ist es Zeit, sie selber aufzustellen. Es ist momentan die einzige Alternative zum kompletten Rückzug und die einzige Alternative, die mir einen gewissen Selbstschutz bietet. Es ist die einzige Option, die mir etwas mehr Luft zum Atmen gibt und vor allem Zeit, mich um wichtige Prozesse aber auch um mich selbst zu kümmern. Ich verbringe täglich zig Stunden mit der Beantwortung mehrerer hundert Kommentare, teilweise zu Uhrzeiten, die weit außerhalb der regulären Arbeitszeiten liegen. Es ist Zeit für mich geworden, Grenzen aufzustellen, vor allem was mich und mein Privatleben angeht. Ich bitte euch alle, egal ob Hater oder Fan, diese Grenzen zu respektieren und mir den Raum zu geben, den ich brauche, um meine Arbeit weiterhin zu verrichten. Für Facebook (der einzige Kanal, auf dem ich Kommentare nicht deaktivieren kann) gilt: Wenn das, was du zu sagen hast, nicht konstruktiv oder respektvoll formuliert ist, nehme ich mir das Recht, deinen Kommentar zu löschen. Wenn du weder deinen echten Namen, noch deine echte Identität als Facebook Profil verwendest, erlaube ich mir, dich nicht an der Diskussion teilnehmen zu lassen. Des Weiteren nehme ich mir ab sofort eine Auszeit, in der es wenig bis gar nichts von mir zu hören geben wird. Ich lege nach wie vor Wert auf gut recherchierte, wertvolle Beiträge, statt Lückenfüller nur des regelmäßigen Traffics wegen. Keine Angst, es wird weiterhin Beiträge geben, aber vielleicht einfach weniger. Ich hoffe, dass auch meine Kooperationspartner diese Entscheidung respektieren und bitte gleichzeitig um Verständnis.
Ich bin am Ende des wohl persönlichsten Beitrags auf Dariadaria angekommen um gleichzeitig zu sagen, dass ich ab jetzt weniger persönlich sein muss, um mich und die Menschen die ich liebe, zu schützen. Wenn die Arbeit dich verändert, ist es Zeit, die Arbeit zu ändern. Ich hoffe, dass mir dieser Abstand hilft, die Leere, die sich in den letzten Monaten in mir breitgemacht hat, wieder mit positiven Gedanken und Gefühlen zu füllen. Mein größter Wunsch ist es, wieder den Spaß und die Freude am Bloggen zu finden, die ich früher mal hatte. Wenn das bedeutet, dass der Blog wieder kleiner, der Traffic wieder weniger und die Einnahmen noch geringer werden müssen, ist mir das Recht. Meine Gesundheit und mein Privatleben sind Prioritäten, die ich viel zu lange vernachlässigt habe, weil ich mich zu lange im Kreis gedreht habe.
“Sobald du merkst, dass du dich im Kreis drehst, ist es Zeit, aus der Reihe zu tanzen.“
Alles Liebe,
Maddie.
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