Ich mag kein Techno, nehme keine Drogen und gehe gern früh schlafen. Dafür trage ich gerne Bomberjacken, hänge für mein Leben gerne in hippen Cafés ab und mache viel Yoga. Meine Chancen, Berlin zu mögen, standen also 50/50.
Als ich in Bali schönsten Wochen meines Lebens verbrachte, war der Gedanke, ins graue Wien zu gehetzten, unfreundlichen GroßstädterInnen zurückzukehren so schön wie der Gedanke an eine Darmspülung. Um mich selbst ein bisschen zu manipulieren und aufgrund diverser, romantischer Digital Nomad Fantasien in meinem Kopf, beschloß ich, im Frühjahr ein paar Wochen ins Ausland zu gehen. Zuerst dachte ich an Mallorca oder Ibiza, wo es im Frühjahr wenig touristisch ist und das Angebot für Birkenstock-und-Kristall-tragende-Yogis wie mich sehr gut ist, entschied mich dann aber, aus Bequemlichkeit und weil ich Mala mitnehmen wollte, für Berlin. Ich bin beruflich ohnehin vier bis fünf mal im Jahr dort, habe einen kleinen Teil meiner persischen Familie und viele Freunde in der Stadt.
Ich fand Berlin immer cool – erstens, weil ich mich dort immer durch sämtliche Restaurants, eines toller als das andere, gefressen habe, und zweitens, weil… naja… Berlin halt. In Berlin sind alle schön, hip, cool, tragen Jutebeutel und neben ihren coolen Agenturjobs betreiben sie ein trendy Kaffeehaus oder eine Bar.
Ich war ein einziges mal im Berghain, da war ich ca. 21. Zur Tür gehen fühlte sich an, wie zur Exekution zu gehen (ich weiß, der Vergleich ist politisch sehr inkorrekt, also seht es mir bitte nach), denn ich wusste: da kommt fast niemand rein. Die Wartezeit fühlte sich an wie eine gefühlte Ewigkeit, nichts hätte mein unsicheres, 21-jähriges Ich mehr gekränkt als vom Türsteher weggeschickt zu werden. “Wie alt bist du? fragt der Mann mit den Tattoos im Gesicht. “Ähm, 24?”. Meine Coolness wäre mit der von Ralph Wiggum zu vergleichen gewesen. Anscheinend schien ich so verzweifelt, dass ich reingelassen wurde um mich dann, drin, zu fühlen wie der prüdeste Mensch auf Erden. Ich war 21, studierte irgendwas Langweiliges, sah langweilig aus, nahm, im Gegensatz zu den Menschen, mit denen ich dort war, keine Drogen und war emotional nicht bereit um Fremden beim Oralverkehr zuzusehen. Der Abend endete wie folgt: ich begab mich sofort in die Panoramabar, wo ich ein Sandwich und ein Eis aß, mich auf eine Bank legte und einschlief, um dann um 7 Uhr Morgens von meinen Freunden geweckt und nach Hause gebracht zu werden. Ich fühlte mich echt nicht cool. War ich auch nicht.
7 Jahre später sitze ich an einem der vielen, regnerischen Tage, die es in Berlin im April gab, in meinem WG-Zimmer und denke an meine Berghain-Experience und daran, dass es Sonntag ist, ich gestern um 22:30 Uhr ins Bett, heute um 6:30 aufgestanden bin und ganz Berlin gefühlt noch schläft. Ich bringe den Mülleimer mit den Wertstoffen in den Hof des Hauses, leere ihn aus und lasse ihn kurz dort stehen. Dann gehe mit meinem Hund aufs Tempelhofer Feld, denn meine WG liegt im coolen Schillerkiez. Gestern wurden einige Autos angezündet, am Tag davor die Hausmauer der Kiez-Verwaltung mit Farbe beschüttet. Gentrifizierung lautet das Stichwort. Ich komme vom Spaziergang zurück – der Mülleimer ist weg. Ich hänge einen Zettel auf, naiv wie ich bin. “Liebe MitbewohnerInnen, heute habe ich meinen Mülleimer kurz im Hof deponiert, während ich mit meinem Hund spazieren war. Leider ist dieser nun weg und ich würde den/die ehrliche/n FinderIn bitten, bla bla bla…”. Der Eimer taucht nie wieder auf.
Fast forward: über ein Monat in Berlin ist vergangen. Ich habe Besuch aus Wien, es ist Samstag, wir wollen ins Prince Charles, einen coolen Club, wo es ausnahmsweise kein Techno spielt, gehen. Wir verlassen das Haus, es fällt mir sofort auf. Mein ausgeborgter, geliebter Elektroroller steht nicht da, wo er immer steht. “Da hat sich bestimmt jemand einen Scherz erlaubt” sage ich halb lachend, halb weinend, als wir die Straße entlang absuchen. 30 Minuten später finde ich den Roller, demoliert, in einem Hinterhof unweit meines Hauses. Der Dieb hat versucht damit wegzufahren, hat das Gefährt halb auseinander genommen, um dann aufzugeben. Handy raus, Google: Berlin Polizei Telefonnummer. “Wenn es sich nicht um einen Notfall handelt, Sie aber dennoch Rat zu polizeilichen Fragen benötigen, steht das Bürgertelefon der Polizei Berlin rund um die Uhr zur Verfügung.” Zehn Minuten probiere ich es beim Bürgertelefon – besetzt. Da es sich bei meinem demolierten Roller wirklich nicht um einen Notfall handelt, rufe ich bei einer nahe gelegenen Polizeiwache an, sie schicken ein Fahrzeug vorbei. Die zwei Männer sind richtig nett und freundlich, ich glaube sie haben bisschen Mitleid mit mir und als ich ihnen erzähle, dass ich zuerst probiert habe, beim Bürgertelefon anzurufen, lachen sie herzlich. Ich lache mit. Die Anzeige ist erstattet und als Schmankerl erzähle ich den beiden, sympathischen Herren noch die Mülleimer Geschichte. “Willkommen in Neukölln” sagt der freundliche Mann und wir verabschieden uns.
In Berlin habe ich fast täglich solche Dinge erlebt, angefangen bei technischen Problemen, die ich durchwegs hatte, bis hin zu beruflichen und privaten “Niederlagen”. Vorausschickend: alles first world problems. Probleme, über die sich Menschen mit echten Problemen freuen würden. Doch Berlin hat mir eines gelehrt: das Glück ist oft näher, als man denkt. Als ich aus Bali zurück kam, bildete ich mir ein, das Hochgefühl, das ich dort erlebt habe, kann mir Wien nicht geben. Wir suchen so oft nach etwas, was direkt vor uns bereits existiert. Rational weiß ich es doch schon so lange, aber es wirklich verstehen, verinnerlichen und begreifen, dass Glück nur, wirklich nur in uns drinnen existiert, hat Berlin mir gegeben.
Ich sitze vor einem Interview mit dem Philosophen und Schriftsteller Alain de Botton. Botton behauptet, dass das Reisen für uns Menschen das Mittel sei, um uns daran zu erinnern, wie geheimisvoll, aufregend und groß die Welt eigentlich ist. Dass wir uns durch den Alltag an die außergewöhnlichsten Dinge gewöhnen und das Reisen uns die Gelegenheit gibt, uns daran zu erinnern, wie besonders viele Dinge sind. Mir fällt sofort das Wort “Beziehung” ein. Wie das ist, wenn man jemanden kennenlernt, verliebt ist, wie toll die ersten Berührungen und Intimitäten sind und wie banal, selbstverständlich und gar nicht aufregend diese Begegnung nach vielen Jahren oft wird.
Die Vorstellung einer digitalen Nomadin, macht mich noch lange nicht zu einer glücklichen, digitalen Nomadin, sondern einfach nur zu einem von 7,47 Milliarden Menschen, der ein völlig überteuertes Heißgetränk in einem Viertel konsumiert, wo nichts anderes als soziale Verdrängung stattfindet. Es sind diese Vorstellungen und Erwartungen, die einen vergessen lassen über das zu staunen, was man täglich vor der Nasenspitze hat und einen dazu bringt, romantische Vorstellungen anzufertigen, die der Realität ferner sind als Pluto der Sonne.
“Mit der Freude auf die Rückkehr kann man einem schlechten Urlaub noch etwas Positives abgewinnen.”
Angenommen die Schuldfrage gäbe es doch, dann würde ich behaupten, Social Media trägt Mitschuld. In Zeiten, wo wir strahlend blaues Meer, weiße Sandstrände, Starbucks Becher in New York und Bikini-Fotos in Santorini täglich auf unseren Bildschirmen perzipieren, fällt es gefühlt zehn mal schwerer, uns mit Mundgeruch an einem Montag morgen in die Arbeit zu schleppen und daran etwas fucking Wunderbares zu entdecken. Und wenn wir dann mal an diese Orte reisen erschlägt uns oft die Erwartungshaltung, die sich über lange Zeit hinweg aufgebaut hat. Das strahlend blaue Meer war eigentlich nur ein VSCO Filter auf einem überbelichteten Foto und der gemütliche Kaffee ist in New York gar nicht so gemütlich sondern der stressigste Kaffee unseres Lebens.
Man findet sich nicht selbst, nur weil man woanders hinfährt. Es befindet sich dort nicht. Weder in Berlin, noch in Bali oder Wien. Da kann man unter jedem Stein und in jedem Hinterhof suchen, alles, was man dort finden wird, ist ein gestohlener, demolierter Roller. Das, was man so oft sucht, ist keinen Millimeter weiter entfernt, als das, was unter der eigenen Brust liegt.
♥
Photos by Martin Popp
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