Seit knapp einem Jahr versuche ich nachhaltiger einzukaufen, vor allem im Bereich Textilien habe ich seit einem Jahr keinen Fuß in einen H&M, Zara, Forever 21 & Co. gesetzt. Es war dieser Beitrag letztes Jahr der mich so erschütterte dass ich den Großteil meiner Kleidung verkauft oder gespendet habe. Eine der ersten Fragen in dieser Dokumentation “Wenn man den niedrigen Preis sieht, dann muss man sich fragen ‘Kann das überhaupt sein?’ ” Drei Jahre lang die ich zu H&M und Co. gelaufen bin hat niemand mein Kaufverhalten in Frage gestellt. Wenn ich ein Forever 21 Shirt für 4€ gepostet habe, kamen nur Kommentare wie “wow, wie cool! So günstig!”. In 3 Jahren kam NIE ein Vorwurf zu meinem Konsumverhalten. Und jetzt? Jetzt muss ich mich fast täglich rechtfertigen: seit einem Jahr kommen zum Einen Vorwürfe die Kleidung die ich poste sei zu teuer oder Vorwürfe ich würde nicht nachhaltig genug leben. Bipolarer könnte es nicht sein.
Wieso werden Leute plötzlich so angriffslustig, nur weil jemand dieses Thema anspricht? Erst kürzlich wurde ich auf Instagram angegriffen, weil ich kritisierte dass ein großer österreichischer Schmuckhersteller maschinell in China fertigen lässt. Liegt es vielleicht daran, dass wir inzwischen alle wissen wie falsch und unmoralisch die Produktion in Billiglohnländern ist – es aber unter dem Vorwand “das ist zu teuer” oder “große Unternehmen müssen nun mal so produzieren” rechtfertigen?
Es dauert nicht mehr lang und H&M launcht die Alexander Wang Kollektion. Ein Designer der schon mal in Verruf geraten ist weil er Sweatshops in New York betrieben hat und inzwischen 99% seiner Teile in Asien herstellen lässt. Der Großteil der H&M Kollektion ist, wie auch die Isabel Marant Kollektion letztes Jahr, in China hergestellt, mit ein paar Ausnahmen in Romänien oder Italien. Dass die regulären Teile von Wang unverhältnismäßig teuer sind kritisiert niemand – auf unzähligen Blogs sehe ich wie Blogger Wang in den Himmel loben, dass ein simples Baumwoll T-Shirt bei ihm 85$ kostet, Made in Vietnam, juckt niemanden. Wieso also wird mir gesagt ein 120€ Alpaka Cardigan, fair hergestellt von Grüne Erde, sei zu teuer? Und wieso rennen so viele Leute zu H&M und kaufen sich die 5€ Basics, wo es doch nachhaltige Basics um 10€ bei Anbietern wie Grundstoff gibt?
Ich habe das Gefühl wir alle haben vergessen, was “normale” Preise eigentlich sind. Erst kürzlich kommentierte jemand bei mir “Ich finde nachhaltige Mode toll und würde meinen ‘Made in Bangladesh’ Schrank auch gerne gegen faire Mode austauschen. Bei Preisen von 100-200 Euro pro Kleidungsstück schlackern mir allerdings die Ohren.” Wir rennen zu Zara und kaufen Wollmäntel für 100€ – finden das teuer. In der “richtigen” Welt sieht ein Wollmantel so aus:
Ein Meter Wollstoff kostet 30€, 3 Meter plus Zubehör braucht man ca. für einen Mantel, sprich 100€ alleine Materialkosten. Die Produktion kostet in Europa ca. 150€ bis 200€ – wir sind bei 300€ Selbstkosten angelangt. Eine Großboutique in einer größeren Einkaufsstraße würde dann noch 120% draufschlagen – das macht 660€ für den Endkunden. Das wäre der Preis für einen sehr gut genähten Wollmantel aus 100% Natusfaser bei einer Bestellmenge von 1 bis 5 Stück. Bei einer größeren Bestellmenge ist der Preis natürlich etwas niedriger.
Auf der einen Seite also sind wir also bereit 85$ für ein Wang T-Shirt Made in Vietnam auszugeben, 179€ für einen Wang X H&M Rucksack, kritisieren aber dass nachhaltige Mode zu teuer sei? Findet ihr das nicht auch etwas absurd?
Der neueste Coup jedoch: H&M stellt neuerdings in Äthiopien her. Ein Land in dem der Mindestlohn sogar noch unter dem Bangladeschs liegt. Ihr Geschäftspartner dort? Ein Scheich der für Menschenrechtsverstöße bekannt ist. Ein bisschen skurril ist das Ganze also wirklich: wir alle beklagen uns über das Leid auf dieser Welt, die Ungerechtigkeit und Fakt ist, dass wir selber Schuld dran sind. Wir kaufen Kleidung von Unternehmen, die Menschen ausbeuten und an Menschenrechtsverstößen Schuld sind. Wir sind Schuld an all diesen Zuständen und der Grund weswegen sich nichts ändert. Ja, es ist gemütlicher zu H&M zu gehen, sich nicht mit dem Thema auseinander zu setzen, aus Bequemlichkeit wegzuschauen. Wir alle müssen lernen hinzuschauen und einfach mal TUN.
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