Als ich vor über einem Jahr beschlossen habe nachhaltige Mode zu promoten, wahr ich wohl sehr naiv. Ich schätze mich generell nicht als naive Person ein, aber im Nachhinein betrachtet: ich war ganz schön dumm.
Über 3 Jahre lang habe ich bei Forever21, H&M, Mango usw. gekauft – ob ihr es glaubt oder nicht: in über 3 Jahren kam kein einziger negativer Kommentar zu meinem Konsumverhalten. Kein einziges mal wurde das Thema Kinderarbeit angesprochen, kein einziges mal wurde ich an den Pranger gestellt für meine Kaufentscheidungen.
Heute nutze ich meinen Blog, der über eine viertel Million Zugriffe im Monat verzeichnet, um unter anderem nachhaltige Labels zu pushen. Diese Labels zahlen mir nichts – ich nutze meine Stimme unentgeltlich. Der einzige Unterschied zu früher: heute werde ich an den Pranger gestellt. Und zwar ziemlich oft. “Tue Gutes und sprich darüber” hat mir mal eine kluge Person nahe gelegt. Doch ob es ganz so klug war Gutes zu tun und darüber zu sprechen? So sicher bin ich mir nicht mehr.
Ich bin full time Bloggerin. Das bedeutet, dass dieses Online Medium mir meine Miete, mein Essen, meine Sozial- und Pensionsversicherung, meine Freizeit und sonstige Späße finanziert. Früher (und auch heute) ging man in den Laden, blätterte 5€ für ein Printmagazin hin und konsumierte dann die harte Arbeit, die von diversen Redakteuren geleistet wurde. In diesen Magazinen finden sich auch Anzeigen wieder. Diese Anzeigen werden für viele tausende Euros verkauft. Eine Anzeige in der deutsche Vogue kostet zwischen 13.000€ und 57.000€*. Im Jahr 2014 habe ich weniger Umsatz gemacht, als eine deutsche Vogue für eine “teure” Anzeige verlangt.
Dass ich dieses Medium meinen LeserInnen KOSTENLOS zur Verfügung stelle, scheint viele nicht zu jucken. Wir leben in einer Gesellschaft, wo alle Mindestlohn verlangen, sich über das korrupte Sozialsystem beschweren und auf der anderen Seite aber Billigfetzen von unterbezahlten Arbeitern in Billiglohnländern, zu günstigen Preisen kaufen und Medien wie Musik, Film und digitale Medien wie Blogs gratis konsumieren wollen.
Wie wäre es, wenn ich pro Blogpost von jedem/r LeserIn einen Betrag von 1,50€ verlangen würde? Es wäre toll! Ich könnte auf jegliche bezahlte Kooperation verzichten, müsste keine Affiliatelinks mehr setzen, hätte ein fixes monatliches Einkommen – ein weitaus höheres als ich es jetzt habe. Ich könnte darauf verzichten, ständig an den Pranger gestellt zu werden. Dafür, dass ich mit großen Konzernen oder sonst wem kooperiere, dass ich einen mir gratis zur Verfügung gestellten Lippenstift gutheiße oder einen bezahlten Instagram Post schalte.
Ich war naiv. Naiv zu glauben, dass ich einen Teil meiner unglaublichen Reichweite für Gutes nutzen sollte. Denn heute werde ich mehr kritisiert als je zuvor, obwohl ich über 90% aller Anfragen ablehne. Ich lehnte 2014 Anfragen im Wert von über 15.000€ ab – Anfragen von Firmen, die meiner Meinung nach nicht nachhaltig genug agieren. Mit 15.000€ mehr am Konto hätte ich echt schöne Reisen machen oder mir tolle Designerhandtaschen kaufen können, wie andere Blogger es auch tun.
100% nachhaltig zu leben würde bedeuten, dass ich mir einen anderen Job suchen müsste und nicht mehr Vollzeit Bloggen könnte. Ich müsste mich vermutlich in einer Höhle verschanzen, mein Handy entsorgen und von selbst kultivierten Lebensmitteln leben. Denn der Job, den ich mache, lebt von Konsum und von Firmen, die finanzielle Ressourcen haben um Online Medien wie meines für Kooperationen/Advertorials zu bezahlen. Viele junge Designer, Start-Ups und Labels haben diese Ressourcen nicht. Was ist also eurer Meinung nach besser: diese Menschen zu unterstützen und nebenbei bezahlte Jobs von Firmen annehmen, die es sich leisten können oder meine Reichweite verlieren, einen anderen Job annehmen und die Stimme für die “kleinen” Unternehmen nicht mehr haben?
Es ist immer leicht, in seinem Kämmerchen zu sitzen, mit dem Finger auf andere zu zeigen, ein paar Worte in die Tastatur zu hauen und den weltmännischen Besserwisser zu spielen. Noch leichter ist es, sich nicht in die Rolle einer anderen Person zu versetzen, zu glauben man würde selbst alles ganz anders und viel besser machen.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der nur schwarz und weiß existiert. Würden wir alle nur ein Drittel unseres Lebens damit verbringen uns für ein soziales Thema zu engagieren, wäre diese Welt ein besserer Ort. Stattdessen spaltet sich die Gesellschaft: in Menschen, die sich einen Scheißdreck scheren, die durchs Leben gleiten ohne jemals kritisiert zu werden und auf der anderen Seite Menschen, die sich engagieren und ihr Leben lang im Kampf leben. In Diskussionen und Kritiken um sich schlagen weil nichts was sie tun, gut genug ist und es immer etwas zu kritisieren gibt.
Ich werde in Zukunft Gutes tun, aber nicht mehr darüber sprechen. Denn obwohl ich niemandem eine Rechenschaft schuldig bin, bin ich ein Mensch. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein Mensch an dem Worte nicht abprallen, ein Mensch der sich Kritik zu Herzen nimmt. Ich bin ein naiver Mensch, der geglaubt hat Gutes zu tun reicht um ein bisschen was zu bewegen. Ich werde nach wie vor, privat mehr als beruflich, versuchen meine nachhaltige Mission voran zu treiben, aber ich werde es auf diesem Blog nicht mehr in den Vordergrund stellen. Es handelt sich hier um keine Kapitulation, sondern meine persönliche Entscheidung, mich dem ganzen Hass der gegen mich gerichtet wird zu entziehen. Es raubt mir Lebensenergie mein Bestes zu geben und “ähmduträgstnikeswiesowirbstdufürnespressoundsowiesobistdueinefalschesau ” zu ernten.
Es gibt Abermillionen Medien da draußen, die nicht mal 1% ihrer Berichterstattung der Nachhaltigkeit in der Modebranche widmen. Warum man auf diesen Medien keine Kommentare zur mangelnden Verantwortung liest verstehe ich bis heute nicht. Denn anscheinend verstehe ich gar nichts, weil ich zu dumm bin um es zu verstehen.
Danke für euer Verständnis.
* Preise hier entnommen
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