ICH BIN JUNG UND BRAUCHE DAS GELD

dariadariaichbinjungundbrauchedasgeld

Hallo, mein Name ist Madeleine, ich werde im Juli 27 Jahre alt, habe 5 Jahre lang studiert, eine 5-stellige Summe in mein Studium investiert, arbeite seit ich 16 bin, habe 3 Jahre lang unbezahlt gebloggt und schreibe nun einen der erfolgreichsten Blogs im deutschsprachigen Raum. Mein Kameraequipment hat mich über 15.000€ gekostet, ich habe über 10.000 Stunden Arbeit in meinen Blog gesteckt und zahle meine Steuern fristgerecht ein. Ich liebe meinen Job und mein Job macht mir Spaß. Und genau deshalb will man mich oft nicht bezahlen.

Denn Arbeit darf keinen Spaß machen und wenn sie Spaß macht, dann muss man doch einverstanden sein, wenig bis gar nichts bezahlt zu bekommen. Und das ist ein Thema, das mir regelrecht im Hals steckt, Würgreflexe auslöst. Ich arbeite seit knapp 4 Jahren selbstständig im Kreativsektor und habe so viel Bullshit gehört, das ich Bücher damit füllen könnte. Wenn alle Firmen, die mir Nichtbezahlung oder “symbolische Bezahlung” anbieten, tatsächlich arme Start-Ups ohne Budgets sind, bin ich ein Einhorn, das auf Faultieren reitet. Seriously.

giphy (2)

Doch let’s get to the point: kreative und soziale Arbeit wird oft nicht wertgeschätzt. Klar, ich habe nicht die Fixkosten eines Gastronoms, habe weniger Ausgaben als ein Einzelhändler und nicht dieselbe Ausbildung, wie ein Mediziner. Doch: es ist Arbeit. Und Arbeit muss bezahlt werden. Wie kann es sein, dass ich die letzten 5 Jahre regelmäßig mit Kunden zu tun habe, die mir Angebote unterbreiten, für die sie sich schämen sollten? Kunden, die glauben ein 3-minütiges Video wäre auch in bloß 3 Minuten produziert und Kunden, die glauben, die Tatsache, dass man einen Beruf macht, der nach Urlaub aussieht, rechtfertigt die Bezahlung in 50€ Gutscheinen. Nein, mein Vermieter akzeptiert weder BH’s noch Modeschmuck als Bezahlung und nein, das Finanzamt noch weniger. Das hat nichts mit Arroganz, noch mit utopischem Denken zu tun, sondern mit Respekt und Wertschätzung. Genau so, wie SozialarbeiterInnen, die extrem unterbezahlt sind, weil ihre Arbeit ökonomisch gering geschätzt wird, obwohl sie extrem hohe soziale Relevanz hat.

Wie oft habe ich Diskussionen erlebt, wo ich zu spüren bekommen habe, wie neidisch mir manche Leute um meinen Job sind. Sie, die gut eingebürgerte Mittelschicht, die auf der Universität was “echtes” gelernt hat, will mir erklären, dass mein Stundensatz utopisch ist. Denn als Kreative, sollte ich dankbar dafür sein, von Luft und Liebe leben zu können. Oder?

Das Schlimmste an der Sache: der Werteverfall. Wir regen uns alle darüber auf, nicht gerecht für unsere Arbeit entlohnt zu werden, sind aber im Gegenzug auch nicht dazu bereit, für die harte Arbeit anderer zu zahlen. Letztens stand ich in der Reinigung, um meinen Teppich, der für 40€ gereinigt wurde, abzuholen und war Zeugin einer Diskussion, bei der die Kundin nicht bereit war, den ausgeschriebenen Preis für die Reinigung ihres Ballkleides zu zahlen. Wir alle wollen wertgeschätzt, fair entlohnt werden und jegliche Rechte einer Arbeitnehmerin genießen, rennen dann aber zum Fast-Fashion-Riesen, wo wir 5€ für ein Baumwollshirt hinlegen und WISSEN, dass die Person, die das hergestellt hat, nicht fair behandelt worden sein kann. Wir alle wollen regional, bio, am Besten noch frisch essen und sind aber nicht bereit, den entsprechenden Preis dafür zu zahlen. Wir wollen einen Ferrari, sind aber nur bereit für ein Fahrrad zu bezahlen. Es ist eine Doppelmoral, die mich unfassbar ankotzt. Ich habe, obwohl ich es mir nicht immer gut leisten konnte, meinen Fotografen, Freelancer, die für mich arbeiten, immer bezahlt, weil zu fairer Entlohnung dazu gehört, dass die Regeln für alle gelten. Und ja, ich bezahle meinen Freund auch für arbeiten, die er für mich und den Blog macht. Obwohl er mich natürlich auch in Naturalien bezahlen könnte. Augenzwinker.

blogger-bullshit-bingovia 

Doch Sarkasmus beiseite. Ich bin fleißig, ambitioniert und kreativ. Auf meine Kreativität kann ich keinen Preis klatschen, aber sehr wohl, auf die Arbeit, die damit verbunden ist. Denn auch kreative Berufsmenschen sitzen nicht, ungleich des Klischees, mit einem Joint im Park, bis ihnen aus heiterem Himmel eine Idee in den Schoß fällt (obwohl ich es ganz geil fände, meine Tage so zu verbringen). Ich betreibe Recherche, schreibe Storyboards, bilde mich weiter, kaufe Equipment, arbeite Konzepte aus, stelle mich auf den Kopf für die gute Umsetzung einer visuellen Idee. Ich gehe auf viele Termine in meiner Arbeitszeit, um Projekte zu besprechen, die nach dem 5. Meeting und vielen Arbeitsstunden vielleicht gar nicht umgesetzt werden. Ich arbeite. Ich arbeite, genauso wie andere Menschen arbeiten, nur anders. Das heißt noch lange nicht, dass meine Zeit, mein geistiges Eigentum und meine Ressourcen weniger respektvoll behandelt werden sollten, als jene anderer Menschen.

Es gibt wirklich viele Unternehmen, die Unterstützung brauchen und es sich nicht leisten können. Junge EinzelunternehmerInnen oder soziale Projekte. Und jede/r Kreative kommt solchen Menschen gerne entgegen (vor allem ich!). Aber wenn ein internationaler Konzern, ein Fernsehsender oder ein gut etabliertes Unternehmen einem Musiker, einem Autor, einer Grafik Designerin, einer Fotografin oder einem Blogger anbietet, sie in Produkten, “Goodies” oder Hungerlöhnen zu bezahlen, sich aber eine herausragende Leistung, perfekte Umsetzung und mega Reichweite erwartet, dann frage ich mich: wie sollen diese Menschen überleben?

“Do what you love” steht auf dem inspirational Poster über meinem Laptop. Ich bin in der glücklichen Position, einen Job zu machen, der mir unheimlich viel Spaß macht und könnte nicht dankbarer sein, jeden Tag aufzuwachen und mit Freude an die Arbeit zu gehen. Doch leider ist es der traurige Alltag vieler kreativer und sozialer Berufe: statt Selbstverwirklichung, erleben wir Selbstausbeutung. Vielleicht sollte ich neue Poster entwerfen, auf denen steht “Do what you love, but live am Existenzminimum.”

PS: mit diesem Beitrag spreche ich keinen der Kooperationspartner an, die ihr hier auf diesem Blog seht. Denn das sind alles aufrichtige Unternehmen, die faire Entlohnung als selbstverständlich ansehen.

127 comments

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *