20. August 2016: Andrea und ich steigen ins Flugzeug und fliegen nach Tel Aviv. Wir sind ganz schön aufgeregt, denn morgen geht es in den Gazastreifen. Angekommen in Israel werde ich gefragt “What is your father’s name? What is your grandfather’s name?”, die Befragung dauert nicht lange, der Beamte ist freundlich und wir dürfen einreisen.
21. August 2016: gemeinsam mit den anderen Vier Pfoten MitarbeiterInnen werden wir zum Erez Checkpoint gebracht, eine der Grenzen nach Gaza. Ich spüre meinen Herzschlag bedeutend stärker, je näher wir dem Gebäude zugehen. Junge Männer und Frauen in Militärkleidung, riesengroße Maschinengewehre in ihren Händen. Dr. Amir Khalil, der Missionsleiter, verschwindet in einem Raum mit Offizieren des Israelischen Militärs, denn die Einreisegenehmigungen müssen geklärt werden. Später kommt er zurück: meine Einreise wurde abgelehnt. Ob es an meinem persischen Nachnamen liegt oder an meinem Blog: man weiß es nicht. Wir warten, warten, warten, nach über 3 Stunden bekommen wir die Erlaubnis die Grenze zu überqueren. An einem Schalter werde ich begrüßt und wieder einmal gefragt wie mein Vater und mein Großvater heißen, wo sie geboren wurden. Als das Wort “Iran” fällt, greift die Beamte zum Telefon, spricht hastig, einige Minuten später darf ich durch die Schleuse. Die Beamte, die mich eben noch freundliche grüßte, würdigt mich keines Blickes mehr. Vom Israelischen Checkpoint geht es durch einen 2km langen Gang, gesichert durch Draht, er führt durch das Niemandsland. Vom Gang aus sehen wir die riesige Betonmauer, die Israel vom Niemandsland trennt. An das Geräusch von Drohnen haben wir uns bereits gewöhnt. Beklemmung. Trauer. Es folgen zwei weitere Checkpoints, unser Gepäck wird genau untersucht, beim Anblick meiner weißen Wasserflasche erschrickt der palästinensische Grenzbeamte.
Nun sind wir in Gaza. Dieser Ort, der jedem, dem ich erzählt habe, dass ich hinfahren werde, in Schockstarre versetzt hat. Es ist schmutzig, abgemagerte Esel werden mit viel zu schweren Ladungen durch die Straßen gepeitscht, die meisten Gebäude sind zerbombt oder erst kürzlich neu erbaut. Kinder spielen im Dreck, der Verkehr ist verrückt. Auch wenn ich weiß, dass Tel Aviv, die hochentwickelte Stadt, die so viel zu bieten hat, nur 60km entfernt ist, kann ich einfach nicht verarbeiten, wie verschieden diese Welten sind und wie sie so nahe aneinander koexistieren.
22. August 2016: “Oh Gott, ist alles ok? Bitte schreib mir.” Whatsapp Nachrichten und Mails. Eine Internet-Suche später erfahre ich, dass eine Rakete von palästinensischer Seite abgefeuert wurde, kurz darauf antwortete Israels Luftwaffe mit einem Beschuss. Es sei der härteste Beschuss seit dem Krieg in 2014. Wir gehen zum Frühstück, alle sind ruhig, niemand scheint nervös. Als ich eine unserer lokalen Volunteers frage, ob sie denn keine Angst hätte, antwortet sie mir “ach, das war weit weg”. Ich zücke google Maps, der Ort des Beschusses ist weniger als 20 km von unserem Hotel entfernt.
Wir besuchen den Zoo und ich muss gestehen, dass es besser aussieht, als ich dachte. Später erfahre ich, dass man “ordentlich durchgefegt” hat, bevor wir angekommen sind. Keine Spur mehr von den mumifizierten Tieren, bloß ein Haufen Müll und Plastikflaschen überall. Ich helfe die Käfige für den Transport zu schrubben, denn schmutzige Käfige sind potenzielle Krankheitsüberträger. Laziz, der Tiger, wird bereits heute ohne Narkose probiert in seinen Holzkäfig verfrachtet zu werden, weil man ihn am Tag des Transport in Israel nochmal untersuchen möchte. Sprich: zwei Narkosen in so kurzer Zeit wären eine enorme Belastung für das Tier. Dem Zoobesitzer gelingt es die große Katze in den Käfig zu locken, sie weiß noch nicht, dass sie knapp vier Tage darin verbringen wird.
23. August 2016: Der Wecker läutet um 5:30 Uhr, Abfahrt zum Zoo. Es wird ein langer Tag, das wissen wir alle. Es hat um 8 Uhr morgens bereits über 30 Grad und wimmelt vor Fliegen, die sich am liebsten auf unseren Gesichtern absetzen. Die Presseleute sind bereits da, wir sperren einen Bereich für das Team ab, natürlich hält sich niemand daran und wir sind ständig damit beschäftigt, die Kameramänner davon abzuhalten, in Bereiche zu gehen, in die sie nicht gehen dürfen. Ich helfe Robert von den Vier Pfoten die Käfige vorzubereiten, denn einige sind wacklig und müssen mit Schrauben und Winkeln stabilisiert werden.
Als erstes sind die Affen dran: 5 sind es gesamt. Dr. Frank Göritz, der leitende Tierarzt, betäubt die Affen mit einem Blasrohr, dabei ist er umgeben von einer Traube von Journalisten, die drängeln, weil jeder das beste Foto haben möchte. Die Affen sind sichtlich nervös, Frank bläst, der Pfeil trifft den Affen, nach 5 Minuten schlummert er langsam ein. Danach kommt das Affenweibchen dran, beide werden in die Ecke gebracht, wo die Tierärzte ihre Arbeit verrichten. Die Überraschung des Tages: das Weibchen ist trächtig! Beim Ultraschall hört er den Herzschlag des Embryos, er zeigt uns den Kopf am Ultraschall, für mich bloß ein komischer, grau-weißer Fleck. Danach wird der weibliche Hirsch betäubt, ihr Kitz hätte auch gerettet werden sollen, doch es verstarb einen Tag vor unserer Ankunft. Wir helfen das Tier zu tragen, eine große Wunde voller Fliegen klafft auf seinem Bein. Die Stunden vergehen, wir erinnern uns gegenseitig daran, dass wir genug Wasser trinken und ein paar Bananen essen müssen. Pause gibt es keine, denn die Zeit läuft. Wir schwitzen, rufen, Journalisten schreien, die Sprachbarriere macht es nicht leichter. Wir sind alle in einer Art Trance, Schritt für Schritt, ein Tier nach dem anderen, die Tierärzte leisten Höchstarbeit. Der Sohn des Zoobesitzers gerät in Rage, er möchte den Tiger wieder aus dem Käfig lassen, weil er ihn den Journalisten präsentieren möchte. Dr. Göritz bittet ihn inständig, den Tiger nicht rauszulassen, denn ihn wieder in den Käfig zu befördern, wäre eine weitere Herausforderung und Stress für das Tier. Es wird gestritten, geschrien, man versucht diplomatisch zu bleiben, damit der Zoobesitzer nicht sein Gesicht verliert. Die Kinder vor Ort helfen mit, sie müssen regelmäßig Wasser holen, weil es kein fließendes Wasser vor Ort gibt. Unser Fotograf möchte ihnen folgen, sie raten ihm davon ab, weil es gefährlich sei zu der Quelle zu gehen.
Die weiteren Stunden vergehen, nach dem Hirsch folgt der Pelikan, dann der Emu, die Schildkröten, die Stachelschweine und letztendlich die Bussarde. Um 18 Uhr kommt der LKW an, wir beginnen die Tiere aufzuladen. Als keiner hinsieht, öffnet ein Kameramann den Emu-Käfig, um einen guten Shot zu bekommen. Wir stürmen hin und bitten einen Volunteer den Käfig zu bewachen, damit sowas nicht mehr vorkommt. Es ist dunkel und 20 Uhr, wir fahren ab. Ein Mann drückt uns noch eine Box in die Hand, wir öffnen sie, darin ist ein kleiner Igel. “Bitte nehmen Sie ihn mit, er muss auch gerettet werden”.
Wir fahren ab. Erschöpft, verschwitzt, die Geruchskulisse im Auto… Nennen wir sie “sehr interessant”. Im Hotel angekommen bitten wir den Fahrer die Tiere auf der Straße zu parken, trotz dieser Anweisung beschließt er in die Hoteleinfahrt rückwärts reinzufahren und bleibt stecken. Eine Stunde lang probiert er herauszukommen, versucht den Anhänger mit dem eigenen Kran anzuheben, ich kann nicht hinsehen, so nervös bin ich. Am Ende findet er eine Lösung und die Tiere bleiben auf der Straße geparkt. Wir werden in Nachtschichten eingeteilt, um die Tiere zu bewachen. Andrea und ich sitzen auf der Straße und bewachen die Tiere von Mitternacht bis 1:30 Uhr – wir fühlen uns wie die Beschützer der Arche Noah.
24. August 2016: 5 Uhr, der Wecker läutet. Wir sind schnell an der Grenze, die Stimmung ist geladen, es wird wie immer gescherzt, zwischendurch döse ich ein, weil ich meine Augen nicht mehr offen halten kann. Wir verabschieden uns von den Volunteers in Gaza “die Tiere dürfen gehen, wir können Gaza nie verlassen”. Ein tiefer Schmerz in meinem Herzen. Der Tag vergeht schnell: wir kommen durch die Grenze, das Gepäck wird akribisch geprüft, das “Where is your father born”-Spiel beginnt von vorne. Wir fahren zur Tierklinik in Israel, der Tiger muss betäubt und untersucht werden, weil die israelischen Behörden sicher gehen möchten, dass sich nichts in dem Tiger befindet, was dort nicht hingehört. Es hat 35 Grad, die Tierärzte arbeiten auf Hochtouren, machen Röntgen, sie sind umzingelt von Journalisten aber auch Passanten, die einfach reinkommen um ein Selfie mit einem schlafenden Tiger zu machen. Sie berühren das Tier ohne Handschuhe, während die Ärzte arbeiten. Es ist schwierig die Meute in Zaum zu halten.
Der erste Abschied: eine kleinere Gruppe, der ich angehöre, bringt Laziz zum Flughafen, der Rest fährt mit den Affen in das Sanctuary in Israel, die restlichen Tiere bringen sie am Abend nach Jordanien. Im Cargo Bereich wacht Laziz langsam von seiner Narkose auf, er ist noch sehr benommen, durch die Löcher im Käfig spritzt der Tierarzt Wasser, um seine Reaktion zu testen. Jetzt sind wir Menschen dran: wir fahren zum Flughafen, es ist 16 Uhr und wir gönnen uns ein kühles Getränk und die erste Mahlzeit an diesem Tag. Dann möchte unser Kameramann einchecken, er wird gefragt was er in Israel gemacht hat, als er es erklärt, wird er gebeten sein Videomaterial zu zeigen und ihm wird erklärt, dass unsere Gruppe geschlossen einchecken muss.
Es beginnt eine knapp 3-stündige Befragung inklusive langer Wartezeiten. Woher kommt dein Vater, dein Großvater, wieso hilfst du Tieren, hat dir jemand was mitgegeben in Gaza, bist das du in deinem Pass. Mein Gepäck wird Stück für Stück auf Sprengstoff untersucht, ich muss mir von meiner Nagelfeile und geschmolzener Schokolade trennen, beides tut bisschen weh, denn meine Nägel sehen aus als hätte ich in Erde gebuddelt und Schokolade kann ich jetzt echt gebrauchen. Nach der Untersuchung darf ich meinen zerwühlten Koffer wieder packen, als ich den Rucksack zumache wird mir gesagt, es würde alles nochmal untersucht werden. Meine Unterhosen fliegen rum, meine Kamera zerlegt. Meine Fußsohlen akribisch untersuch und mein Haar millimetergenau durchgetastet. Neben mir steht ein junges Mädchen, ihr Sprengstofftest ist positiv, sie darf nur ihr Geld und den Pass nehmen, um zum Flug zu eilen, der Rest wird konfisziert und nach einer Laboruntersuchung in ihr Heimatland geschickt. Sie schluchzt und geht.
Es ist 21 Uhr, wir schnallen uns an, ich döse ein. Es gibt ein technisches Problem, doch wir sollten bald auf dem Weg sein. Dunkelheit. Um Mitternacht wache ich auf, wir sind immer noch am Flughafen und müssen das Flugzeug verlassen. Man weiß nicht ob und wann wir fliegen, Ioana Dungler, Leiterin des Bereichs Wildtiere bei den Vier Pfoten, telefoniert, gestikuliert, probiert mit dem Flughafenpersonal zu sprechen, jemand solle bitte nach unserem Laziz sehen. Durch das Fenster sehen wir, wie er aus dem Flugzeug geladen wird um 5 Minuten darauf wieder in dasselbe Flugzeug eingeladen zu werden. Ioana und wir sind besorgt, Laziz ist seit 3 Tagen in diesem Käfig. Es ist 1:30 und ich weine, weil ich erschöpft bin. Ich möchte nur noch schlafen. Kurz darauf dürfen wir wieder in das Flugzeug, 9 Stunden später landen wir sehr turbulent Johannesburg, ich frage mich wie es Laziz da unten im Frachtraum wohl geht.
25. August 2016: Cargo Bereich Johannesburg. Es fehlen Papiere, doch die Situation beruhigt sich schnell. Wir warten knapp 2 Stunden, dann darf Laziz aufgeladen und nach Lionsrock gebracht werden.
Es ist fast 17 Uhr, die Sonne geht bald unter, ich spüre das goldene, warme Licht im Gesicht und bin einfach nur glücklich, denn wir haben es fast geschafft. Ioana Dungler bittet mich, den Käfig mit ihr zu öffnen. Ich kann es zuerst gar nicht glauben, dass sie mich für diese Aufgabe auswählt. Wir steigen auf den Käfig, dessen Tür an das Gehege arretiert ist. Ich zittere, wir flüstern, heben die Tür hoch, Laziz sitzt mit dem Hintern zu den Journalisten, denkt nicht dran sich zu bewegen. Er ist den vierten Tag in dem Käfig und als wir etwas Futter in das Gehege werfen, dreht er sich um und stolpert aus dem Käfig. Seine Muskulatur ist komplett atrophiert, nicht nur, weil er so lange im Käfig saß, sondern weil er 5 Jahre lang in einem 12 Quadratmeter großem Käfig aus Beton gehalten und falsch ernährt wurde. Laziz beschnüffelt vorsichtig sein neues Zuhause und als er seinen Kopf schnurrend an einem Stück Holz kratzt, spüre ich ein warmes Nasses auf meinen Wangen. Ich kann mich nicht mehr halten.
Laziz zu Ehren gibt es ein Festessen, es werden Reden gehalten. Ioana Dungler kommt dran: “Als ich heute Abend in Lionsrock in den Himmel starrte, sah ich die wunderschönen Sterne und mir wurde klar, dass die Menschen und Tiere in Gaza keine Sterne sehen.”
Danke an die Vier Pfoten, dass ich Teil dieses unvergesslichen Erlebnisses sein durfte. Danke für die unermüdliche, unabkömmliche Arbeit, die ihr Tag für Tag leistet.
Wer diese wertvolle Arbeit unterstützen möchte, kann das unter folgenden Links tun:
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