MEIN LEBEN ALS STÜCK FLEISCH.

Maximilian Salzer Fotografie I www.maximiliansalzer.at I 2015 I
Die armen Männer. Schon wieder sind sie überfordert! Kurz war ich davor einen Spendenfond für die überforderten Männer einzurichten, doch dann beschloss ich, dass unsere Rettungsaktion in Gaza, wo ich mich momentan aufhalte, doch etwas wichtiger ist.

Für alle, die jetzt glauben ich bin betrunken oder einfach nicht wissen, wovon ich spreche, kurze Aufklärung: gestern durfte ich einen ziemlich sexistischen Artikel über meinen Gesichtsschmuck in der deutschen Zeitung “Die Welt” lesen. Zuerst musste ich eigentlich nur schmunzeln, irgendwie cute, aber auch bisschen armselig, dass der Autor aufgrund eines millimetergroßen Stück Metalls nicht beurteilen kann, ob eine Frau attraktiv sei.

Klar, die Welt mag Clickbait, es ist Sommerloch (anscheinend nicht genug Anschläge in letzter Zeit) und die Welt hat eine Leserschaft, die gerne ausfällig wird. Erst letztes Jahr, als dieser Beitrag gebracht wurde, meinte man in den Kommentaren, mein Ziel sei es bloß, von einer Gruppe Asylanten gebumst werden zu wollen. Doch zurück zum Septum.

“Kurz und knapp: ne Leine durchziehen und an der nächsten Weide aussetzen diese Rotzgören.”

“Die schreien regelrecht danach am Strick zu laufen,weil sie es selbstständig nicht können.”

“Ein Schrei sich unterwerfen zu wollen.”

“Wer auf Frauen aus bildungsfernen Schichten steht, soll das doch tun.”

“Da muss ich mir immer verkneifen zu fragen, ob sie vielleicht auch noch Ohrmarken bräuchten..”

“Für mich persönlich ein absolutes Ausschluss-Kriterium! Es gibt nur wenige Dinge, die mich beim ersten Anblick abstossen. Dieser Nasenring ist eines davon…”

“Wieso – ist doch praktisch. Einfach eine Leine durchziehen und durch die Manege ziehen.”

“Wir sind nicht überfordert. Es ist einfach nur dämlich sich etwas durch die Nase zu schieben und es reduziert den vorhandenen IQ äußerlich um die Hälfte.”

Ein kleiner Auszug aus den Kommentaren, die unter dem Artikel zu lesen waren (sowohl von Männern als auch Frauen). Mein Freund und ich haben ein Trinkspiel draus gemacht: jedes mal, wenn wir “Stier” oder “Unterwerfung” lesen, trinken wir einen Schnaps. Nee, nicht wirklich, denn wir sind gerade in Gaza und obwohl mein IQ niedrig ist und ich bildungsfern bin, weiß ich, dass es hier keinen Alkohol gibt.

Die Einleitung des Artikels: “Frauen sind auf jeden Fall mit die besten Menschen in diesem Universum. Sie sind clever, witzig, selbstbewusst und schön.” Dann das ABER. Der arme Frauenversteher, der weibliche Wesen bedingungslos akzeptiert, dann aber doch nicht ganz so. Denn wir Frauen sind Schuld daran, dass wir Männer verwirren, dass wir ihnen plötzlich nicht mehr gefallen, oder doch sexy sind.

Als Frau wird man ständig beurteilt, kommentiert, bewertet und sexualisiert. Wir leben im Jahr 2016 und es ist nach wie vor Thema, wie viel wir wiegen, wie wir uns verhalten, ob wir fuckable oder nicht sind, ob wir uns “artgerecht” weiblich oder nicht verhalten. Das Ziel? Wir müssen Männern gefallen, nicht uns selbst. Laut dem Autor macht ein Stück Metall im Gesicht die Trägerin rebellisch, sexy und irgendwie gefällt ihm der Gedanke einer Domina, denn immerhin macht der Nasenring das aus einem. Schön, wenn mein Stück Metall im Gesicht dein Glied erigiert. Eine gute Tat am Tag vollbracht!

Es wird in diesem Artikel ausschließlich von Frauen gesprochen. Ein Mann mit Septum? Juckt keine Sau. Eine Frau mit Septum? Eine Kuh, ein Tier, ein Objekt, das beurteilt wird.

 “Wenn das Vieh ungehorsam ist, dann zwingt man es (leider!) mit Gewalt durch den Zug an empfindlichen Stellen wie diesen. Vielleicht hat Frau zu viel Fifty Shades of Grey gesehen und vielleicht kommt als nächstes ja der Trend, sich ne Leine um den Hals zu legen.”

Und ich? Sitze hier und lese diese Kommentare und abseits von viel Gelächter und Facepalms fällt mir wieder einmal auf, dass Selbstbestimmung so real ist wie ein Quidditch Turnier in Hogwarts. Man könnte es die “please rate me!”-Show nennen, mit mir als Hauptdarstellerin, die so dumm war zu glauben, dass eine selbstbestimmte Entscheidung über ihren eigenen Körper, keine ungefragte Bewertung inklusive Attraktivitätsskala nach sich ziehen würde.

“Love yourself, even when society says otherwise” ist der Spruch, der mir hier in die Sinne kommt. Und: female-shaming ist real. Wenn jemand schwach ist, ist er eine “pussy”. Wenn jemand stark sein muss, sagt man “hey, man up!”. Es ist nicht nur unsere tägliche Sprache, die Tatsache, dass die Helden im TV und Büchern nach wie vor hauptsächlich Männer sind (hier die Studie dazu) oder schlichtweg der Fakt, dass ich für eine ästhetische Entscheidung, die effektiv keinerlei Konsequenzen nach sich zieht, objektifiziert und bewertet werde. Man geht davon aus, dass ich jederzeit dazu bereit sein müsste, für meine Entscheidung und meine Selbstbestimmung, evaluiert zu werden.

Wir reden vom Burka-Verbot, wie selbstbestimmt die Frauen in Deutschland und Österreich seien und wie wir unsere “westlichen Werte” vor dem Feind verteidigen müssen. Wir feiern, dass DM jetzt Pfeffersprays verkauft und haben Angst vor den bösen Asylanten, die unsere selbstbewussten Frauen vergewaltigen könnten. Zeitgleich werde ich hier, von europäischen Staatsbürgern, als eine Frau als Tier an der Leine bezeichnet, die sich nicht mal schnäuzen kann, weil ich Schmuck im Gesicht trage.

Wir sind Huren, Schlampen, Jungfrauen, Hausfrauen, schüchtern, sexy, nerdig, verklemmt und über allem Eines: Objekte. In Deutschland, in Österreich, im Westen, im Osten, Süden und Norden.

Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich muss schnell auf die Weide, mein Mittagessen einnehmen.

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